Unter einem Dach mit Indianern
Ein kalter und regenreicher Morgen in Paris. Den Rucksack geschultert verlasse ich das Hostel mit dem Orlybus Richtung Flughafen Orly. Adieu Paris, bonjour Cayenne.
Ankunft in Cayenne
Während der 13 Stunden im Flieger lernte ich meine Sitznachbarn etwas besser kennen. Etienne und Juliette kamen aus Dijon und hatten vor, für mindestens 3 Jahre nach Französisch-Guayana auszuwandern. Etienne, der als Personalreferent tätig war, hatte von seinem Arbeitgeber das Angebot erhalten, an einem anderen Standort seine Arbeit fortzusetzen. Die Freundin Juliette begleitete ihn, die in Dijon als Krankenschwester tätig war. Da die beiden ein Fahrzeug für die Weiterfahrt reserviert hatten, kam mir das gelegen. Denn die Fahrt vom Flughafen bis zur Innenstadt kostete happige 50 €, die ich ehrlich gesagt nicht bezahlen wollte. Meine Ziele bei so einer Backpacking-Reise sind immer: günstig Fortbewegen, günstig und gut Essen und zu allerletzt günstig Übernachten. Leder wurde aus der Fahrt mit den beiden nichts, da das reservierte Fahrzeug zu klein und die Menge der Koffer einfach zu groß war.
Nach diversen Fehlschlägen fand ich nach etwa einer halben Stunde ein wartendes Pärchen in einem Pickup. Sie warteten samt Baby auf die Großmutter, die aus New York zurückkam. Sie nahmen mich mit, obwohl sie nicht nach Cayenne fahren mussten. Sie waren sogar so nett, dass sie mich bis zu meiner Unterkunft brachten, was nicht selbstverständlich ist. Nach so einer langen Anreise war ich für jede Unterstützung dankbar. Gegen Mitternacht hing meine Hängematte im Maqroll Le Carbet. Das war meine erste Nacht in Südamerika und meine erste Nacht auf einer Hängematte. Müde, erschöpft und voller Vorfreude auf die Abenteuer der nächsten Wochen schloss ich meine Augen.
Cayenne c’est tres petit
Die erste Nacht war relativ unangenehm. Trotz Hängematte mit integriertem Mückenschutz schafften es die Viecher mich die ganze Nacht anzuknabbern. Oberkörperfrei in der Hängematte liegen wäre einfach zu schön gewesen. In den Tag startete ich mit einer kleinen Stärkung in der Boulangerie Victor Martin. Anschließend besichtigte ich die Stadt. Der botanische Garten, der zentrale Markt, der Hafen und der Platz der Palmen. Cayenne war ziemlich übersichtlich und in der Kürze der Zeit schnell besichtigt. Gefühlt gab es an jeder Ecke einen Chinesen, der einen Supermarkt betrieb. Unter den Minderheiten waren die auffälligsten ethnischen Gruppierungen die Chinesen und die Hispanics.
Zurück im Carbet erweiterte ich meinen Schlafplatz mit einem zusätzlichen Mückenschutz, den ich seit meiner ersten Afrikareise immer dabei habe. Tatsächlich war das die ultimative Lösung. Kein Jucken, kein lästiges Summen mehr!
Saint Georges die winzige Stadt am Oyapock
Die Nacht hatte es sehr stark geregnet, wodurch die Temperatur auf 24 °C absank. Mein Plan war es am heutigen Tag Cayenne zu verlassen. Ich wollte weiter Richtung Saint Georges. Um mich ausreichend zu informieren, fuhr ich mit dem Bus zum großen Markt. Dort starteten regelmäßig Minibusse in alle über die Straße erreichbaren Teile des Landes.
40 € kostete die Fahrt und dauerte laut Reiseführer ca. 5 Stunden. So nahm ich den Minibus um 12 Uhr. Unterwegs sammelte der Fahrer in vielen Ortschaften weitere Passagiere ein. Auf Höhe Régina wurden wir von der französischen Gendarmerie angehalten, die hier mitten im Land, weit von der Grenze entfernt, die EU-Außengrenze bewachte. Später erfuhr ich, dass eine Kontrolle direkt in Saint Georges nicht möglich ist, da man den ganzen Oyapock schützen müsste. Die Kontrolle in Régina dagegen eignete sich eher, da die Wildnis um die einzige Hauptstraße herum das illegale Überqueren so gut wie unmöglich machte. Statt der erwarteten 5 Stunden waren es am Ende doch nur 3 Stunden. Die Straßen bis Saint Georges führten quer durch den mächtigen Urwald. Der Anblick der gigantischen Bäume überwältigt einen während der gesamten Fahrt. Die vielen, teilweise ausgebrannten Autos, die in den Straßenschluchten lagen machten dagegen nachdenklich.
In Saint-Georges angekommen hat mich der Fahrer zum l’Oyamac gebracht, von dem ich in einem einzigen Internetforum gelesen und gehofft hatte, dass die Unterkunft weiterhin existiert.
Das Herbergement Oyamac ist eine sehr einfache Unterkunft mit genügend Plätzen für Hängematten. Zu meinem Glück traf ich hier echte amerikanische Ureinwohner.
Ich erfuhr, dass der französische Staat den Indianern monatlich eine Art Sozialhilfe in Höhe von 450 € pro Person bezahlte. Jeden Monat wird man Zeuge einer großen Wanderung der Ureinwohner, die sich mit Booten aus dem tiefsten Dschungel am Oyapock entlang in die Stadt bewegen.
Der Ablauf war fast immer gleich. Nach Erhalt des Geldes liefen die Familien in die naheliegenden Supermärkte und kamen mit prall gefüllten Tüten wieder in die Unterkunft. Am Tag danach wurden die Boote mit den Einkäufen beladen und für die Rückreise in den Dschungel vorbereitet.
Viele Wayapis liefen am helllichten Tag mit der Pulle durch die Gegend. Es waren überwiegend Männer, die am Tag nicht mehr den Weg zurück in die Unterkunft finden konnten. Laut Loic, einem hier arbeitenden Lehrer, lag der hohe Konsum am Geld-Überfluss. Die meisten Wayapis waren Bauern und konnten sich mit den wichtigsten Sachen durch ihren Eigenanbau versorgen. Die finanzielle Hilfe durch den Staat gaben viele für Alkohol aus. Ob das alles so stimmte, konnte ich nicht komplett bestätigen. Ich mag mich irren, aber wenn es tatsächlich so war, machte die staatliche Hilfe eher was kaputt, statt den Menschen zu helfen.
Die Wayapis
Mich begeisterte der Gedanke, dass ich im Oyamac mit einem Naturvolk unter demselben Dach übernachten durfte. Da ich nichts über die Wayapis wusste, recherchierte ich kurz Online.
Andere indigene Völker fürchteten die Wayapi, die als militant organisierte, grausame Krieger und Kannibalen galten.
Nun ja, das lag alles in der Vergangenheit – hoffentlich. Oder bekam man vielleicht mitten in der Nacht noch Heißhunger auf ein bisschen Menschenfleisch?
An die Nacktheit der ganzen Wayapi Frauen musste ich mich noch gewöhnen. Die Männer dagegen waren ständig angezogen. Die Frauen waren fast immer obenrum frei unterwegs. Egal ob ein Baby gestillt oder einfach nur gechillt wurde. Am liebsten hätte ich mich ausgiebig mit ihnen unterhalten. Wäre da nicht die sprachliche Barriere gewesen. Die älteren Wayapis sprachen kaum französisch. Die jüngeren dagegen schienen sich bestens in der französischen Sprache wohlzufühlen. Neben Französisch sprachen die Wayapis auch noch portugiesisch. Da ich nur Bruchstücke französisch sprechen konnte, blieb mir nur das Beobachten übrig. Ob die Wayapis immer noch unter den Naturvölkern gefürchtet wurden? Ob vom Kannibalismus noch etwas übrig geblieben ist? Fragen über Fragen…
Am Nachmittag verbrachte ich meine Zeit mit der Wanderung durch den Urwald. In der Nähe von Saint Georges führt ein bereits vorhandener Trampelpfad zum Saut Maripa. Die warm feuchte Luft im Wald kann auf Dauer sehr anstrengend werden. Die Schönheit des Waldes und der Wasserläufe bewirkt in mir eine gewisse Entspanntheit, von der ich nicht genug bekommen kann.