Saint Laurent du Maroni – Die Stadt der Deportierten
Raus aus Kourou – Aber wie?
Aus Kourou fahren keine Busse und keine Minibusse. Entweder verlässt man sich auf sein Glück und wartet an der Hauptstraße, dass ein Bus spontan anhält oder man fährt mit einem Taxi zurück nach Cayenne, um von dort einen Bus zu nehmen. Ich ging zum chinesischen Supermarkt um die Ecke, um mich über meine Optionen genauer informieren zu lassen. Der Chinese konnte mir leider nicht behilflich sein.
Manchmal hab ich aber richtig Glück, denn einer der Kunden im Supermarkt hörte, dass ich auf der Suche nach einem Gefährt bin, um nach Saint Laurent zu kommen. Ohne zu zögern, bat er mich in seinem Auto Platz zu nehmen. Wir fuhren zunächst zu meiner aktuellen Unterkunft, damit ich meine Klamotten zusammenpacken konnte. Anschließend fuhr er mich zu einem Parkplatz. Dort warteten ein Dutzend Sammeltaxis, die für 25 € bis nach Saint Laurent fuhren. Die Fahrt über Cayenne wäre vielleicht etwas günstiger gewesen. Nun ja, auch ich werde mal schwach 😉
Saint Laurent du Maroni
Saint Laurent ist bekannt für seine vor ca. 65 Jahren geschlossenen Straflager. Auf Befehl von Napoleon III. wurden 1852 erste Verurteilte hierhin geschickt. Frankreich wollte die Kosten in Europa senken und gleichzeitig an der Entwicklung der Kolonien arbeiten.
Six thousand condemned men in our prisons weigh heavily on our budget, becoming increasingly depraved and constantly menacing our society. I think it is possible to make the sentence of forced labour more effective, more moralising, less expensive and more humane by using it to further the progress of French colonisation.
Die Rechnung ging leider nicht auf, denn die meisten Häftlinge starben an Malaria oder Gelbfieber. Einer der bekanntesten Insassenden war Papillon bzw. Henri Charrière. Er schilderte in seinen Romanen seine (angeblichen?) Gefangenschaften und Fluchten.
Nach knapp 3 Stunden kamen wir in Saint Laurent an. Ich merkte, wie die Schlaflosigkeit der letzten Nacht sich spürbar machte. Ich kam diesmal etwas unvorbereitet an. Normalerweise informiere ich mich über die vorhandenen Carbets bei Einheimischen oder bei escapde-carbet. Diesmal musste ich mich also auf mein Glück verlassen. Ich stieg in der Nähe des Fußballstadions aus. Weit und breit war nichts zu sehen, was ansatzweise wie ein Carbet aussah.
Aus dem Augenwinkel sah ich auf der anderen Straßenseite eine Patisserie und direkt davor eine Dame, die im Auto am Telefonieren war. Auf die Frage, ob sie hier in der Nähe ein Carbet kenne, bot sie mir an, mich zu einem Carbet zu fahren. So viel Glück wie an diesem Tag hatte ich noch nie. Es ist wohl sicherlich auch ein wenig die weihnachtliche Stimmung, die mich die Hilfsbereitschaft der Menschen so spüren lässt. Mit dem zweiten Versuch landete ich letztendlich bei Madame Bidiou, der Super Mamie des Jahres 2016.
Chez Madame Bidiou
Die Bidiou Familie, bei der ich übernachtete, gehört ebenfalls zu den amerikanischen Ureinwohnern. Jedoch waren es diesmal keine Wayampi, sondern Kalina. Madame Bidiou hatte 6 Kinder. Voller Stolz sagte sie mir, dass sie die Großmutter von 20 Enkelkindern ist. Man sah der Dame ihr hohes Alter nicht an. Sie war ständig in Bewegung. Voller Vorfreude auf das Weihnachtsfest, das am Abend stattfinden sollte, rannte sie in der Küche auf und ab und zauberte die leckersten Mahlzeiten. Ich wurde natürlich auch zur Feier eingeladen. So half ich selbstverständlich da, wo Hilfe gebraucht wurde. Um die Zeit bis zum Abend zu überbrücken, ging ich raus und sah mir die Stadt an.
Camp de la Transportation
Unweit vom Stadtteil Paddock, vorbei am alten Bahnhof findet man die Wracks alter Handelsschiffe im Maroni Fluss, die mittlerweile durch die natürliche Vegetation der Natur erobert wurden. An diesem Ufer gelang es Papillon also über den Maroni in den Atlantik zu entkommen, dachte ich mir.
Das Camp de la Transportation, die vielen Bilder und Statuen erinnern heute an die damalige Zeit.
Als ich am Tor des Lagers stand und mir die Bilder der damaligen Gefangenen anschaute, die auf den Bildern genau an dem gleichen Platz standen wie ich, fühlte sich das merkwürdig an.
Ich, mit meinem Rucksack am Rücken, meinem Handy in der einen und meine Wasserflasche in der anderen Hand. Die Gefangenen dagegen mit Strohhüten und Lumpen am Leib. Weit weg von der Heimat, weit weg von den geliebten Menschen, die man zurücklassen musste. Ob sie wussten oder ahnen konnten, dass viele hier nicht wegkommen werden? Ich konnte mich wieder vom Tor entfernen und mich auf einer Bank entspannen und die Sonne genießen.
Die Gefangenen damals nicht. Im schlimmsten Fall ging es weiter auf eine der Inseln der Inselgruppe Îles du Salut. Das Leid dieser Menschen lag ca. 160 Jahre in der Vergangenheit. Mag sein, dass ich mir das nur vorgestellt habe, aber die bloße Anwesenheit an diesem Ort versetzt einen in eine melancholische Stimmung, die das vergangene irgendwie spürbar macht.
Joyeux noel
Wieder in der Unterkunft angekommen ging es schon richtig los. Madame Bidiou hatte sich bereits chique gemacht, um auf die Weihnachtsmette zu gehen. Die Anzahl der bisherigen Gäste war sehr überschaubar. Nach der Weihnachtsmette werden es sicherlich mehr, dachte ich mir. Die einigen wenigen, die schon am Tisch Platz genommen hatten, fingen nach einer Weile mit der Speisung der Köstlichkeiten an. Als Madame Bidiou von der Mette zurückkam, verschwand sie sofort in der Nachbarschaft. Es war hier üblich, dass jede Familie in der Nachbarschaft einen Tisch mit Speisen bereitstellte. Aus den Familien wanderten anschließend einige wenige die Straße entlang. Den Nachbarn wurde gratuliert und anschließend gemeinsam gespeist. So war es auch an unserem Tisch.
Fröhlich aßen und tranken wir die ganze Nacht…